DENKREICH

Unser Sohn auf die Frage wie Papa die 7 Wochen ohne Mama gemeistert hat:”Hat Papa gut gemacht, aber ich habe nichts zu Essen bekommen!” *gg* Undankbarer Kerl. Der hat Papa und Oma die Haare vom Kopf gefuttert.

Ich frage mich schon seitdem ich nach Hause gekommen bin, welche Wichtel …

• die Treppenstufen höher
• die Wäschekörbe schwerer
• das Sofa ungemütlicher
• mein Bett weicher
• die Schränke höher
• und die Luft dünner …

gemacht haben?

Auch die Waschbecken scheinen tiefer zu hängen und wenn mir was auf den Boden fällt ist auch der tiefer als vorher.

Das ist unfair!!!

Wie geht es Dir?

Ist eine Frage, mit der ich gerade nicht umgehen kann.

Zum Einen, weil ich bei manchen Menschen ganz deutlich merke, dass es nur eine Floskel ist und dass es sie eigentlich gar nicht interessiert oder dass sie gerade einfach den Kopf so voll haben, dass sie gar nicht zuhören können. Das ist auch nicht weiter schlimm, aber …

DANN FRAGT DOCH ERST GAR NICHT!

Zum Anderen, weil ich nicht weiß, was ich antworten soll.

Wie geht es mir???

• Ich höre ständig meine künstliche Herzklappe klicken und jede noch so kleine Rhythmus-Stöhrung fällt auf.
• Andererseits höre ich die Klappe auch schon viel weniger als am Anfang und das ist wieder positiv. Gestern Abend im Bett habe ich mich sogar dabei ertappt wie mein Fuß zu meinem Herzschlag gewippt hat *g*.

…

• Ich habe Rücken-, Hüft- und Rippenschmerzen und manchmal habe ich den Eindruck, dass mich irgend ein Draht am Brustbein piekt.
• Andererseits tut meine Narbe schon viel weniger weh und ich kann mich sogar schon nach Dingen auf dem Boden bücken.
  

…

• Ich kann immer noch nicht so gut schlafen, weil ich dauernd auf dem Rücken liegen muss. Ich habe mal vorsichtig versucht mich auf die Seite zu drehen, aber dann tun meine Rippen weh.
• Andererseits habe ich keine Alpträume mehr und wache nicht mehr schweißgebadet auf.

…

• Ich habe Angst vor der Zukunft und ich habe Angst um unseren Sohn.
• Andererseits habe ich einen unbändigen Lebenswillen und will noch so viel sehen und erleben.

…

• Ich habe Panik davor Menschen zu begegnen oder mit ihnen zu telefonieren. Ich mag nicht immer wieder erzählen wie es mir geht und ich bin sehr berührt, wenn ich sehe wie nahe anderen Menschen mein Schicksal geht.
• Andererseits freue ich mich, dass mich so viele Menschen mögen, dass sie meiner Familie in dieser Zeit so viel geholfen haben und dass sie einfach für mich da sind.

…

• Ich möchte meinen Mann ganz viel im Haushalt unterstützen, weil er echt auf dem Zahnfleisch kriecht.
• Andererseits muss ich höllisch aufpassen, dass ich nicht zu viel mache und nicht zu schwer hebe.

…

• Ich möchte mich über meine Krankheit informieren. Ich möchte meiner Krankheit ins Gesicht sehen und wissen wie ich ihr am Besten begegnen kann.
• Andererseits macht mich diese Informationsflut krank. Je mehr ich mich mit dem Allen auseinandersetze um so mehr Angst bekomme ich. Also wo ist der gesunde Mittelweg?

…

• Ich möchte meiner Familie ein schönes Weihnachtsfest und eine schöne Adventszeit machen und da gehört für unseren Sohn Deko einfach da zu.
• Andererseits fühle ich mich einfach nicht in der Lage in Kisten nach Deko zu wühlen.

…

• Ich bin froh wieder bei meinen Lieben zu Hause zu sein.
• Andererseits bin ich total überfordert, wenn unser Sohn wieder rumtickt, wenn die Katzen dauernd kuscheln wollen, wenn Nachbarn, Freunde, Familie mit mir reden wollen und ich wünsche mir die Ruhe der Reha zurück.

…

• Ich bin sauer, dass ich diesen Scheiß-Gen-Defekt habe. Ein Schnupfen hätte auch gereicht!!
• Wenn ich mir dann allerdings Gabi Köster im Fernsehen angucke denke ich, man geht es mir gut.
  

Und so könnte ich die Liste wahrscheinlich endlos weiterführen.

Also, wie geht es mir?

Die Psyche ist schon ein komisches Ding. Die letzten 7 Wochen war ich immer gut gelaunt, habe die Zähne zusammengebissen und habe gedacht: Das wird schon! Seit gestern ist das irgendwie anders. Ich habe Angst und fange wegen jedem Mist an zu weinen. Vielleicht liegt es daran, dass ich mich mehr mit meiner Krankheit beschäftige, dass der Gentest da ist und dass mir viele Menschen über den Weg laufen, die ich sehr vermißt habe.

Ich weiß es nicht.

Ich hoffe nur, dass diese Depriphase schnell vorbei geht.

Ich habe heute einen Scheiß-Tag …

Ich habe jetzt seit Tagen beim Aufstehen und auch so ätzende Rückenschmerzen. Ich habe mich vorgestern in einem Herzklappen-Forum angemeldet und hatte echt ein gutes Gefühl, weil ich ganz viele Mitleidensgenossen kennengelernt habe. Als ich von meinen Rückenschmerzen berichtete bekam ich unter anderem die Antwort, dass das auch kommen kann, wenn ein Aneurysma im Bauch auf die Nerven drückt. Ich habe Angst, ich kann doch jetzt nicht bei allen Schmerzen im Bauch oder Rücken daran denken, das aus der Aorten-Dissektion auch noch ein Aneurysma entstanden ist, oder dass da irgend etwas weiter reißt. Woher weiß man denn, ob das “normale” Rückenschmerzen vom ständigen Rückenliegen sind oder ob das was anderes ist?

Da zu kam dann auch akuter Weltschmerz …

• Warum ich?
• Wann muss ich sterben?
• Warum habe ich überhaupt ne private Rentenversicherung abgeschlossen und macht das überhaupt Sinn die weiterzuzahlen?
• Ich wollte so viel Reisen, so viele Länder sehen. Jetzt kann ich nur noch in Länder fahren in denen eine optimale medizinische Versorgung gewährleistet ist.

Mein Mann hat mich ungewollt heute morgen total aus der Bahn geworfen. Er kam mit den Worten ins Schlafzimmer: “Was hältst du davon, wenn wir gleich shoppen gehen? Es ist verkaufsoffener Sonntag.” Ich war sofort total überfordert. Ganz wichtig heute war, dass meine Winterklamotten in meinen Kleiderschrank geräumt werden und meine Sommersachen weggeräumt. Allein das war schon mit Hilfe meines Mannes eine große Anstrengung für mich und ich habe es mir einfach nicht zugetraut auch noch einkaufen zu gehen so sehr ich auch wollte. Das hat mich völlig aus der Bahn geschmissen. Es geht einfach nicht mehr so wie es mal war und momentan kann ich mir einfach nicht vorstellen, dass es jemals wieder so wird.

Unsere Entscheidung ist gefallen. Wir haben uns gestern gemeinsam beim Tag der offenen Tür das alte Gymnasium meines Mannes angeguckt und die Schule ist wirklich nett. Das Gebäude ist sehr alt, aber gepfegt und wirkt ein bisschen wie Klein-Hogwards. Wir wurden von Würstchenduft und einem sehr netten Schulleiter begrüßt und fühlten uns sofort zu Hause. Auch viele Bekannte aus Kindergarten und Grundschule liefen uns über den Weg und Sohnemann zog direkt mit seinem Kumpel ab, der schon in die 5.Klasse geht. Die Schule ist nicht zu groß und übersichtlich und die Lehrer die wir trafen waren sehr nett.

Wir haben alle ein JA-Gefühl und werden Junior dort anmelden.

So, seit gestern habe ich es schriftlich. Ich habe das Marfan-Syndrom.

Das ist ein Gen-Defekt der unter anderem eine Bindegewebsschwäche zur Folge hat und die ist für meine Aortendissektion verantwortlich. Es ist der absolute Hammer, dass das bei mir nicht vorher diagnostiziert wurde. So viele Anzeichen sprechen und sprachen dafür.

Drückt uns bitte die Daumen, dass unser Sohn das nicht hat. Das Risiko liegt bei 50%. In den nächsten Wochen werden wir einen Gentest machen lassen.

Dieses Wort hat auf einmal eine ganz neue Bedeutung …

Ist es wichtig Advents- und Weihnachtsdeko zu machen?

Nö, ist es nicht.

Es ist wichtig mit seinem Mann auf den Sofa zu sitzen Latte zu trinken und Kekse zu mümmeln.

Ja, es ist schön wieder zu Hause zu sein, aber es ist auch eine ganze Menge liegen geblieben und ich muss mich arg zusammenreißen, dass ich nicht zu viel räume. Gestern Abend wurde ich gleich mit Narbenschmerzen belohnt, weil ich einfach zuviel gemacht habe.

Gestern Morgen habe ich erstmal meinen Schreibtisch freigeschaufelt, weil ich doch so einigen Schriftkram erledigen musste. Da vorher ich und in den letzten beiden Wochen meine Männer den Schreibtisch als “Abstellkammer” mißbraucht haben, war das ein größeres Unterfangen.

Ich habe dann erstmal meine ganzen Arztberichte sortiert und abgeheftet und dann angefangen meinen Antrag auf Schwerbehinderung auszufüllen. Dann gings ab zum Hausarzt, der von meiner Geschichte extrem geschockt war und alle meine Anliegen sofort ausgeführt hat. Ich brauchte …

• Rezepte für die ganzen Medikamente
• ein Rezept für einen Gummistrumpf, weil mein linker Fuss noch ziemlich dick ist. Die haben mir ja bei der OP eine Vene aus dem Unterschenkel genommen, die sie dann doch nicht brauchten.
• eine AU
• eine Verordnung für das Gerinnungswert-Chek-Gerät
• Ausfüllen meines Schwerbehindertenantrags
• und einfach Besprechung der weiteren Vorgehensweise

Danach war ich noch einkaufen. Tolle Wurst, wenn man nur 5kg heben darf. Hach, da waren leckere Orangen im Angebot, die in meinen Einkaufswagen wanderten. Hm, 2kg, also erstmal weiter einkaufen. Margarine 250g, Nudeln 500g, Ketchup 750g … und so ging es dann weiter und die Orangen wanderten am Ende wieder ins Regal, weil es einfach zu schwer wurde.

Zu Hause angekommen habe ich dann die Briefe für meinen Arbeitgeber und die Krankenkasse fertig gemacht, habe ein bisschen ferngesehen und ein bisschen aufgeräumt. Dann kam meine Freundin Heike und wir haben ein bisschen gequatscht. Tcha und dann habe ich die Geschirrspülmaschine ausgeräumt und gekocht und dann war ich alle.

Heute morgen bin ich mit furchtbaren Rückenschmerzen aufgewacht. Liegt wohl an der weichen Matratze und daran, dass ich nur auf dem Rücken schlafen darf. Mein Mann holt heute ein Brett zum “unter die Matratze legen”. Hoffentlich bringt es was, ich kann mich kaum rühren.
Das ist gemein. Da hat man nen aufgeschlitzten Brustkorb und ne schwere Herz-OP hinter sich und womit muss man sich rumärgern? Rückenschmerzen!

Reha ENDE!!!!

Ich bin wieder ZU HAUSE!

Ich hatte heute nochmal Inhalation, Heißluft und Ergometertraining und dann hat mich mein Mann heute Abend abgeholt. Und jetzt sitze ich auf dem Käutschken und lasse mich von meiner “milchtrittchenmachenden” Katze pieken.
Man, ist das herrlich!!!!